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[Rezension] Deutsch sein und schwarz dazu von Theodor Michael

Februar ist Black History Month, der Kultur und Geschichte von Menschen mit schwarzer Hautfarbe gedenkt und feiert. Ein Monat, um sich bewusst zu werden, wie wenig man als deutsche Kartoffel darüber weiß und nur ein Monat für die komplette Geschichte der Menschheit. Ich wollte diese Gelegenheit dennoch dazu nutzen, mich mehr mit dem Thema auseinander zu setzen. Dafür habe ich die Biografie eines Deutschen gelesen, der den zweiten Weltkrieg überlebt hat – wie viele andere Deutsche. Und dessen Geschichte dennoch unbekannt und unwirklich erscheint, weil wir eben über diese Seite der Geschichte kaum nachgedacht haben.

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  • Autor: Theodor Michael9783423348577
  • Titel: Deutsch sein und schwarz dazu – Erinnerungen eines Afro-Deutschen
  • Verlag: dtv
  • Genre: Biografie, Zeitzeugenbericht (224 Seiten)
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Worum geht’s?
In diesem Buch beschreibt Theodor Michael sein Leben. Er wurde 1925 als Sohn eines Kameruners und einer Deutschen geboren und wuchs mit seinen Geschwistern in Berlin auf. Er hat viel erlebt, war beim Zirkus, wurde von verschiedenen Familien großgezogen und überlebte den zweiten Weltkrieg mit all seinen Schrecken und Gefahren. Theodor studierte, gründete seine eigene Familie und wirft in dieser Lektüre einen bewegenden Blick zurück als ein Zeitzeuge eines ereignisreichen und zugleich schrecklichen Jahrhunderts.

 

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Meine Katze hat sich sehr gefreut, dass ich das Buch in fast einem Rutsch durchgelesen habe, ohne mich groß zu bewegen. 😉
Meine Meinung:

Mit 224 Seiten ist das Buch wahrlich nicht dick, dennoch ist es schon länger her, dass ich ein Buch innerhalb von 24 Stunden beendet habe.

Theodor Michael beginnt ganz am Anfang bei seiner Geburt und gliedert verschiedene Aspekte und Thematiken seines Lebens in kleine Blöcke von 2-3 Seiten, die sich sehr schnell lesen lassen und trotzdem zusammenhängend sind. Durch den reflektierenden Schreibstil, ständige Andeutungen und Ausblicke auf spätere Ereignisse fliegt man durch die Seiten und möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Ehrlich, schonungslos und ohne unnötige Ausschmückungen schildert Theodor Michael seinen Werdegang, seine Probleme und seine Gedanken. Er wird in Deutschland geboren, spricht deutsch und gerade als kleiner Junge, versteht er kaum, warum er von anderen seltsam beäugt wird. Erst später schämt er sich für die demütigenden Völkerschauen, auf der dunkelhäutige Menschen in Baströckchen als unzivilisierte Wilde zur Schau gestellt werden.

Aber er muss lernen, damit umzugehen. Wie man Polizeikontrollen hinter sich bringt, wie man Situationen deeskaliert, wie man gehorsam ist und möglichst wenig auffällt. Lange muss er Wünsche und Träume zurückstellen. Was für andere selbstverständlich ist, wird ihm meist verwehrt, für vieles muss er kämpfen. Besonders bedrücken und ängstlich stimmen einen beim Lesen die Anfänge und schließlich die Hochphase des Nationalsozialismus und der zweiten Weltkrieg. Zwar entgeht Theodor dem Konzentrationslager, aber er wird in ein Arbeitslager gepfercht und leidet, funktioniert wie eine Maschine, um irgendwie zu leben. Als Leser mag man denken, dass mit dem Sieg der Aliierten der Horror vorbei ist, aber es gibt weiterhin Missgunst, Vorurteile und die harten Nachkriegsjahre hinterlassen ihre Spuren.
Zeitzeugenberichte verdeutlichen eindringlicher als jedes Geschichtsbuch die Auswirkungen großer politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen. Währungsreform, Besatzungszonen – all diese abstrakten Begriffe erwecken mit Theodor Michaels Worten zum Leben und man wird sich der Konsequenzen bewusst, die diese für die einzelnen Menschen hatte.

Theodor hat nicht aufgegeben, er reflektiert, interpretiert und kann durch den zeitlichen Abstand einen nüchternen Blick auf sein schwieriges, aber durchaus schönes Leben werfen. Er schreibt nicht verbittert, voller Hass, sondern hoffnungsvoll und mild. Mild, selbst, im Umgang mit Menschen, die grausam waren und ihm Unrecht taten. Seine Frau und er, seine Kinder und Enkel leben seine Vision. Harmonie bedeutet nicht, niemals zu streiten, sondern den anderen zu akzeptieren und gemeinsam eine Lösung zu suchen. Welche Schwierigkeiten Theodor, seine Geschwister, seine Familie und seine Mitmenschen erleben musste, welche Entbehrungen, Verluste, welche Momente des Glücks – all das bewegt und ist unglaublich interessant und man kann nicht anders, als am Ende der Lektüre vollsten Respekt vor diesem Mann und seinem Leben zu haben.

 

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Es liegt nicht an den Diskriminierten etwas gegen die Diskriminierung zu tun, sondern an den Diskriminierenden und denen, die meist nur zusehen und rumstehen, anstatt sich ein Herz zu fassen und Vorurteilen und Hass mutig entgegen zu treten.
Empathie und einander verstehen ist so wichtig. Sich mit anderen, ihren Gedanken, Schicksalen und Gefühlen auseinanderzusetzen ist nicht immer angenehm oder leicht, aber unumgänglich, wenn man sich persönlich weiterentwickeln will. Und, um zu verhindern, dass Hass, Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erneut in dem Ausmaß um sich greifen wie zu Zeiten des Nationalsozialismus.

Das Buch fesselt durch seine Geschichte und den schmucklosen Schreibstil, jedoch wird Theodors zweite Lebenshälfte weniger ausführlich behandelt. Dabei hätte ich mir gewünscht auch davon etwas mehr zu erfahren, wie es mit den Kindern und seiner Ehefrau Friedel war. Das ist mein einziger Wermutstropfen.

 

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Fazit:

Insgesamt spreche ich für das Buch eine absolute Leseempfehlung aus. In der Schule hing mir der 2. Weltkrieg zwar zum Hals heraus, aber es ist so wichtig, sich stetig mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ehrlich, ungeschönt und dennoch mit der Weisheit eines ganzen Lebens erzählt Theodor Michael seine Geschichte, die stellvertretend für viele Schicksale steht. Auch, wenn es hauptsächlich seine Erinnerungen sind, hätte ich gerne noch etwas mehr über das Leben seiner Kinder und seiner Frau Friedel gelernt und über deren Ansichten und Gefühle. Ansonsten ist das Buch eine interessante, lehrreiche und spannende Lektüre, die sich schnell lesen lässt.

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