Psychologie, Schreiben

Kritik ist ein Geschenk – Mit Kritik umgehen

Kritik ist ein Geschenk – Mit Kritik umgehen

Zum Thema Kritik hielt ich eine Session auf dem Literaturcamp Heidelberg 2019. Die Nachfrage nach einem Blogbeitrag dazu war groß, was mich immer total freut. Viele Themen, gerade psychologisch angehauchte Gedankengänge, sind für mich so selbstverständlich, dass ich oft fürchte, andere könnten sie für ebenso selbstverständlich oder gar öde halten. Hier also endlich der ersehnte Beitrag zu den Themen: Kritik annehmen, mit Kritik umgehen und selbst rücksichtsvoll kritisieren.

Kritik ist ein Geschenk. Du kannst es annehmen oder in die Tonne kloppen“, sagte einst eine gute Freundin von mir. Daran denke ich immer, wenn ich Kritik bekomme, die wehtut. Obwohl die Kritik, die mich am härtesten getroffen hat, mich bisher auch am weitesten gebracht hat. Aber dazu später mehr.

Schnallt euch an, das wird ein bisschen länger!

Warum ist Kritik ein Geschenk?

Kritik ist…

  • In der Regel gratis
  • Ungefragt oder auf Wunsch
  • Aus dem Nichts oder zu besonderen Anlässen
  • Schön verpackt oder einfach vor den Latz geknallt
  • Ob sie einem gefällt oder nicht

Leider kann man Kritik nicht zurückgeben oder umtauschen.

 

Kritik ist dabei aber nicht immer die schicke Schmuckausgabe unseres Lieblingsbuches über das wir uns total freuen. Kritik ist oft wie ein kratziger Wollpulli in der persönlichen Hassfarbe, nicht unserem Stil, Geschmack oder Zeitgefühl entsprechend.

Aber würdet ihr der Person, die euch diesen Pulli handgestrickt hat, das gute Stück vor die Füße pfeffern, sie beleidigen oder sagen, dass sie sich ihre kratzigen Scheißpullis sonstwohin stecken kann, weil sie ja keine Ahnung hat? Wohl eher nicht (Hoffentlich). Leider reagieren manche Künstler*innen – eingeschlossen Autor*innen – aber ähnlich auf negative Meinungen zu ihren Büchern. Sie sind offensichtlich nicht oder nur bedingt kritikfähig.

Befragt man die Suchmaschinen nach Kritikfähigkeit erhält man allerlei Ergebnisse, viele Guides und Tipps und Tricks. Aber der Reihe nach:

Kritikfähigkeit – Was ist das?

 

Kritikfähigkeit bedeutet:

  • Angemessen mit Kritiker*innen umgehen
  • Nicht tage- oder wochenlang beleidigt/wütend/traurig sein, sich nicht alles zu Herzen nehmen
  • Wichtige Punkte aus Kritiken erkennen, herausarbeiten, konkret umsetzen und für die Zukunft im Hinterkopf behalten

Warum ist das wichtig?

  • Kunstschaffende präsentieren ihre Werke und sich in der Öffentlichkeit
  • Die Öffentlichkeit bewertet, kategorisiert und gruppiert Werke
  • Meckern und Kritisieren ist eines der Lieblingshobbys der Deutschen

→ Kritik ist also unvermeidbar. Für meinen ersten Tipp zum Umgang mit Kritik müssen wir uns die Marterie genauer anschauen.

 

Kritik, die man in die Tonne hauen kann

  • Beleidigungen
  • Haterkommentare, Bashing usw.
  • Offensichtlicher Nonsens
  • Nichtssagende Kritik

  • Vorausgesetzt, man hat es nicht selbst in der Hand:
    • Kritik an Post, Lieferung, Lieferzeiten
    • Kritik an Cover, Schrift bzw. Schriftgröße
    • Kritik am Genre als Ganzes

→ Letztere Kritik sollte bzw. kann man weiterleiten, wenn sie sich häuft. Man kann sich auch stellvertretend entschuldigen, aber sonst hat man nicht so viel Einfluss darauf.

Sie trifft einen trotzdem manchmal, aber mit dieser Art von Kritik kann man nicht produktiv arbeiten. Deswegen sollten wir uns bemühen, sie nicht zu verinnerlichen. Sie ist die ekelhafte After Eight Schokolade von Onkel Hinzkunz, die – sobald er gegangen ist – heimlich entsorgt wird. Natürlich gibt es Leute, die diese Sorte mögen, aber solche Kritik sollte man nicht weiterschenken. Höchstens um sich mit Freunden darüber lustig zu machen oder gemeinsam zu ärgern. Aber das ist schon wieder fast zu viel Energie für diese unbrauchbare Kritik.

Natürlich kann man bestimmte Aspekte dieser Kritik aufgreifen und darauf antworten. Aber höflich und sachlich. Denn andere Leute lesen Kritiken und falls ihr euch im Ton vergreift, fällt das negativ auf euch zurück. Für diese Kritik müsst ihr euch aber nicht zwingend bedanken, denn jeder weiß schließlich wie ekelhaft After Eight Schokolade ist! 😉

Negative Kritik

Manche Leute vergessen vor lauter Kritik, dass Kritik auch positiv sein kann. Negative Kritik ist nicht immer gleich „Kritik für die Tonne“. Kritik tut oft dann weh, wenn sie unsere Unsicherheiten bestärkt oder wenn sie wunde Punkte trifft von denen wir gar nichts wussten. Für den Selbstwert ist negative Kritik, egal ob hilfreich oder nicht, also erstmal eine „Bedrohung“. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Denn negative Kritik kann sehr konstruktiv sein.

  • Positive Kritik animiert, so weiterzumachen wie bisher. Sie motiviert, pusht Selbstwertgefühl und gibt ein gutes Gefühl. Man kann mit ihr wachsen. Sie ist die schicke Schmuckausgabe des Lieblingsbuches.
  • Negative Kritik regt zum Nachdenken an. Sie bietet Chancen, sich weiterzuentwickeln und Veränderungen anzustreben. Man kann mit ihr wachsen. Sie ist oft ein kratziger Wollpulli.

Negative Kritik ist also der kratzige Wollpulli. Aber offensichtlich hat sich jemand Mühe gegeben, Gedanken gemacht und sich mit dem kritisierten Werk auseinandergesetzt. Hat Zeit investiert. Und dafür sollte man sich bedanken. Ihr würdet niemandem ein Geschenk, das ihr bekommt, um die Ohren hauen, nur weil es euch nicht gefällt, oder? Ihr bedankt euch und legt es beiseite.

Negative Kritik kann und darf Zeit brauchen. Sie darf eine Weile ungenutzt in der Ecke stehen. Ihr könnt euch jederzeit dazu entscheiden, euch damit auseinanderzusetzen. Vielleicht ist der Pulli ein paar Tage, Monate, Jahre später gar nicht mehr so kratzig, hässlich und unpassend. Vielleicht braucht ihr ihn dann, er kommt in Mode oder ihr fühlt euch plötzlich bereit für dicke Wollpullis? Es ist auch in Ordnung, ihn aufzutrennen, euch einzelne Stücke rauszuschneiden und daraus eine fesche Wolldecke zu stricken.

Ihr könnt die Kritik und Teile daraus so nutzen, wie ihr das möchtet und könnt.

 

Ihr reagiert oft impulsiv auf Kritik? Was tun?

Ihr seid Schreibende. Bevor ihr ein Buch auf den Markt bringt, lasst ihr auch Lektor*innen und Korrektor*innen drüberlesen.

  1. Bewusst Stift und Papier nehmen.
  2. Die Nachricht aufschreiben, gerne auch mit aller Wut und dem Gefühl von Ungerechtigkeit. Let it go!
  3. Diese Notiz in eine Schublade packen
  4. Social Media bzw. die Plattform für den Rest des Tages schließen
  5. Zwei bis drei Tage später die Notiz hervorholen und überprüfen. Evtl. Freunde „lektorieren“ lassen.
  6. Sich bewusst machen: „Kritik ist ein Geschenk. Es steht mir frei, sie zu ignorieren, sie zu nutzen oder sie für später beiseite schieben.“

Eure Gefühle sind in jedem Fall wichtig und sollten nicht ignoriert werden. Ihr solltet sie verarbeiten, sie akzeptieren, sie nicht wegschieben. Denn wenn ein Projekt, in das man viel Zeit, Nerven und Herzblut steckt, kritisiert wird, dann ist es in Ordnung, dass es zuerst wehtut, traurig und wütend macht. Aber ladet diese Gefühle nicht der kritisierenden Person auf, denn es sind eure Gefühle.Und hetzt auch nicht eure Freunde und Fangemeinschaft auf die Kritiker.

Mehr praktische Tipps & Beispiele habe ich für epubli gesammelt.

Wer kritistiert?

Dieser Tweet ist sicherlich ein guter Anhaltspunkt. Allerdings würde ich diesen Tipp eher für Kritik im persönlichen Bereich oder im Arbeitskontext benutzen. Denn Literaturkritik ist umfassender, öffentlicher und sich aller Kritik zu verwehren, nur, weil sie von Menschen kommt, die man nicht kennt, wäre zu einfach.

Man kann sich die kritisierende Person aber dennoch genauer anschauen. Gerade bei Buchrezensionen!

  • Ist die Person generell streng und kritisch? Lobt sie sonst alle Bücher oder Produkte?
  • Hat sie die Punkte, die sie bei mir kritisiert, an anderen Büchern auch kritisiert?
  • Gehört sie zu meiner Zielgruppe? Wird sie vielleicht nochmal Bücher von mir kaufen?
  • Gerade bei fachlichen Anmerkungen lohnt es sich genauer hinzuschauen.

Ich möchte damit kein Stalking oder Hineinsteigern ermutigen, aber manchmal ist es doch ganz sinnvoll. Gerade bei fachlichen Anmerkungen – hat diese Person mehr Erfahrung und Wissen in dem Bereich? Ist sie von etwas betroffen, das ich in meinem Buch beschreibe? Oder hat jemand bei „Blutige Schlachthausparty“ irgendwie mehr Romantik erwartet und wurde enttäuscht?

Achtung: Um Stil oder Förmlichkeiten zu kritisieren muss man nicht unbedingt ein Autor sein. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn gerade Stil oder Flüssigkeit sind sehr subjektive Dinge. Lasst euch nicht zu sehr verunsichern.

 

Attribution – Was ist das und was hat das mit Kritik zu zun?

Attribution = Ursachenzuschreibung

Bedeutet – Wie erkläre ich mir gewisse Ereignisse, Äußerungen etc.?

Ein Beispiel: Jemand auf der anderen Straßenscheite schaut mich komisch an. Meine Gedanken?

a) „Habe ich etwas im Gesicht?“

b) „Der hat bestimmt einen schlechten Tag“

c) „Ist irgendetwas hinter mir?“

d) „Der denkt bestimmt, ich bin hässlich!“

Wie ich Situationen, Aussagen etc. „attribuiere“, also mir selbst erkläre, hat direkte Auswirkungen auf mich, meine Stimmung und langfristig auch auf meinen Selbstwert.

Hier findet ihr eine beispielhafte Tabelle. Man kann Ereignisse auf unterschiedlichen Dimensionen attribuieren. Meine Sätze sind hier nur beispielhaft gedacht und plakativ. Weniger

destruktiv bei internal-distinkt wäre z.B. „Ich habe mein volles Potenzial bei diesem Buch nicht ausgeschöpft.“ Dennoch zeigen diese verschiedenen Gedanken ganz gut, welche „Ursachen“ man für Kritik finden kann. Die Wahrheit ist meistens ein Mix aus mehreren Faktoren.

Personen mit niedrigem Selbswert attribuieren negative Ereignisse übrigens häufig internal, also auf sich selbst („Das war ja klar, ich kann das einfach nicht“), und positive Faktoren auf die Umwelt („Das war nur Glück“). Ihr erkennt euch dabei wieder? Nehmt euch ruhig diese Tabelle zuhilfe und wisst: Die Wahrheit liegt dazwischen.


Do’s and don’ts bei Kritik

Wie gebe ich selbst konstruktive Kritik?

  • Ich-Botschaften („Ich finde“, „Meine Meinung“) entschärfen
  • Begründen, idealerweise mit Beispielen
  • Stell dir vor, du redest persönlich mit der Person
  • Für wen schreibe ich die Kritik? Für andere Leser*innen oder für die Autor*in?
    • Als reine Konsument*in oder Buchblogger*in schreibt man Rezensionen idR für andere potenzielle Käufer*innen
  • Hat die Person die Kritikpunkte in der Hand?
  • Alles ist subjektiv (Nur weil ich ein Buch doof finde, ist es nicht automatisch doof. Es wird Leute geben, die es mögen und das ist okay.)

„Ich finde deinen Schreibstil noch nicht ganz rund. Meiner Meinung nach fängst du zu viele Sätze mit Ich an (siehe Seite X, Y und Z), benutzt oft Füllwörter und zu viele Adjektive.“

 

Fazit:

  • Kritik tut weh. Das ist in Ordnung. Man darf sich Zeit lassen.
  • Kritik ist kein endgültiges Gerichtsurteil, nicht das Jahreszeugnis. Kritik ist das Halbjahreszeugnis und ihr habt jederzeit die Chance, etwas zu verbessern.
  • Man wächst an Herausforderungen, mit Feedback & Erfahrungen.
  • Kritik ist eine andere Perspektive auf die eigene Arbeit.
  • Kritik kann mir nicht vorschreiben, was ich tun soll.
  • Kritik ist die Meinung einer Person.
  • Kritik ist ein Geschenk.

 

Und der Selbstwert?

Leute, die in meiner Session waren, werden vielleicht bemerken, dass ich hier nicht näher auf den Selbstwert eingegangen bin.

Personen mit niedrigem Selbstwert neigen dazu negative Ereignisse auf sich zu beziehen und sich die Schuld daran zu geben, bei positiven Ereignissen jedoch äußere Faktoren wie „Glück“ o.Ä als Ursache zu nennen. Kritik ist eine potenzielle Bedrohung für den Selbstwert. Deshalb kann ich – aus psychologischer Perspektive – nicht nur über Kritik sprechen, ohne den Selbstwert zu behandeln. Das Thema „Selbstwert“ ist aber zu groß, um es hier kurz und lieblos ans Ende zu klatschen. Deswegen wird es dazu auch einen extra Beitrag in naher Zukunft (hoffentlich, tretet mir in den Poppes) geben.

 

Du fandest diesen Beitrag super hilfreich? Dann teile ihn doch auf Social Media! Und wenn nicht? Dann darfst du mich in den Kommentaren gerne konstruktiv kritisieren. 😉

 

Weitere gute Beiträge zum Thema:


Quellen:
  • Absolventa, zuletzt abgerufen 05.07.2019
  • Wikihow, zuletzt abgerufen 05.07.2019
  • Harlich H. Stavemann: …und ständig tickt die Selbstwertbombe (Beltz, 2011)
  • Jutta & Heinz Heckhausen: Motivation und Handeln, Kapitel 15 (Springer, 2010)
  • Astrid Schütz, Martin Rüdiger, Katrin Rentzsch: Lehrbuch Persönlichkeitspsychologie, Kapitel 5 (Hogrefe, 2016)
Kommt an Bord:

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8 Comments
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4 Jahre her

Das Bild mit dem Wollpulli ist wirklich herrlich! Danke für diesen Beitrag.
Eine After-Eight-mögende Leserin ;D

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4 Jahre her

Ein super spanender und lehrreicher Beitrag! Finde es grossartig wie du das ganze Zusammengefasst hast und ins positive gerückt hast. Im Hinterkopf zu haben, dass man es gar nicht allen recht machen kann und auch nicht sollte hilft mir sehr bei Kritik 🙂

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Angelika D
4 Jahre her

Hallo Babsi, der Beitrag gefällt mir. Man sollte sich manches immer mal wieder ins Gedächtnis rufen, wenn das Gefühl hat ein Kritiker geht zu hart mit einem um. Wie du schon sagst mal drüber nachdenken, ob an dem Geäußerten was dran sein könnte, sich aber nicht quälen, sondern annehmen oder ab in den Müll.

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Rana
4 Jahre her

Hallo Babsi, ich wollte noch einmal danke für Deine Session sagen. Sie kam zur rechten Zeit, denn tatsächlich habe ich wenige Tage später meine erste Zwei-Sterne-Rezension erhalten. Allein das Wissen, dass es okay ist, wenn man sich deshalb (vorübergehend) angefressen fühlt und dass es anderen in dieser Situation ebenso geht, hat dazu geführt, dass ich mit der Rezi wesentlich besser klargekommen bin, als ich mir immer ausgemalt hatte. Gefreut hat es mich trotzdem nicht. Ich muss allerdings sagen, dass die Rezensentin sehr schön zwischen Inhalt und Schreibstil unterschieden hat. Während ihr der Inhalt nicht zusagte, gefiel ihr mein Schreibstil, sodass… Read more »

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Nadja
4 Jahre her

Danke für deinen Blogeintrag, liebe Babsi. Ich finde es toll, dass du vieles anschneidest und einen Gesamtüberblick über die Thematik Kritikfähigkeit vermittelst. Spezifisch zum Schreiben fällt mir das Thema Lektorat bzw. Gegenleser ein. Ich fände auch einen Beitrag dazu sehr cool, falls es ihn nicht schon gibt.
Wie sinnvoll sind Gegenleser und ein Lektorat? Wer ist geeignet? Warum sind sie so hart mit uns und wieso brauchen wir das für eine gute Geschichte?

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