Junge Studenten wissen im ersten Jahr alles, im zweiten zweifeln sie, im dritten fangen sie an zu lernen. – Deutsches Sprichwort
Als Studentin im sechsten Semester, bzw. im dritten Jahr, kann ich in diesem Zitat zumindest ein bisschen Wahrheit erkennen. Ich hab mein Psychologie-Studium mit unglaublich großen Erwartungen begonnen. Psychologie war das, was mich interessierte, worin ich gut war – es war „meins„. Ich hatte natürlich gehört, dass am Anfang viele trockene Themen abgehandelt werden. Dass ich im fünften Semester mich immer noch nach Tiefe und Praxisbezug sehne, hätte ich allerdings nicht gedacht. In den Prüfungen bin ich unterdurschnittlich, gurke immer so um eine 3,0 rum, egal ob ich vier Wochen oder vier Tage gelernt habe. Das löst natürlich Frust aus.
Ich hatte noch nie besonders viel Ehrgeiz, ich wollte einfach meinen Weg gehen und es war und ist nicht mein Ziel in allem die Beste zu sein. Aber ich dachte, ich käme ein bisschen besser klar. Ich dachte, mich sollten ausnahmslos alle Inhalte im Psychologie Studium begeistern und interessieren.
Aber das war eine wunderschöne Illusionsseifenblase, die endlich zerplatzt ist.
Wie in der Schule bin ich im praktischen und mündlichen Bereich einfach deutlich besser, in schriftlichen Prüfungen für die Bulimie-Lernen und Auswendig-Wissen statt Verständnis gefragt sind, bin ich nicht gut. War ich nie. Vieles interessiert mich nicht und es fällt mir nicht leichter für Forschungsmethoden zu pauken als für mein verhasstes Physik. Obwohl ich mein Ziel – den Bachelor und danach den Master – klar vor Augen habe. Das hat mich im letzten Jahr ziemlich entmutigt und mir die Lust am Studieren genommen.
Ich hatte und habe Zweifel daran, ob es das Richtige für mich ist. Ob ich den Master wirklich machen möchte. Zwischenzeitlich dachte ich daran, das mit dem Studium einfach sein zu lassen, aber ich mag es nicht aufzugeben und ich bin trotzig. Manchmal lasse ich mich von meiner inneren Stimme, dem Kritiker, übermannen, aber manchmal ziehe ich auch Kraft aus seinem Protest, indem mein Kampfgeist erwacht. Den Bachelor breche ich so kurz vor Schluss sicher nicht ab. Die Rückmeldung von Praktika, Freunden und Bekannten schenkt mir Kraft und Mut, dass ich mich nicht falsch entschieden habe. Außerdem versprechen zumindest ein paar Inhalte im sechsten Semester mehr Praxisbezug und spannende Inhalte.
Ich werde vielleicht nie der akademische Typ sein, Uni macht mir nicht so viel Spaß, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich lerne auch nicht so viel, wie ich mir erhofft hatte. Einerseits, weil ich bereits ein ganz solides Wissen habe, andererseits weil viele Dinge in der Psychologie beinahe selbstverständlich sind und im Bachelor nur mit Studien untermauert werden. Ich weiß nicht, wo es mich hinverschlagen wird. Ob ich den Master durchziehe, ob ich Therapeutin werde oder in eine ganz andere Richtung gehe.
Diese Selbstzweifel sind jedenfalls ätzend. Bis jetzt habe ich nur wenige Entscheidungen bereut und habe meinen Hintern schon über höhere Hindernisse gewuchtet. Ich will mich nicht dauernd fragen und mir nicht das Hirn zermartern ob ich geeignet bin oder nicht. Ich hoffe, ich kann den Erzählungen Glauben schenken, dass es im Master mehr Praxis und mündliche Prüfungsleistungen geben soll. Vielleicht gibt mir das auch mal den Kick, den ich brauche, um an mich zu glauben.
Eine Freundin sagte mir einmal, meine ruhige, gelassene Ausstrahlung färbe positiv auf sie ab. Eine andere betonte, dass ich gut zuhöre und gute Ratschläge gebe. In meinen Praktika bekam ich gute Rückmeldungen und viel Lob. Das ist es, was ich später machen möchte! Menschen helfen. Aktiv nach einer Lösung zu suchen.
Und ich möchte mich so oft ohrfeigen, wenn ich wieder zu lange Trübsal geblasen habe. Wir Psychologen sagen immer so lapidar, man sollte sich seine Erfolge und glücklichen Momente aufschreiben. Ich denke mir selbst oft „Boah, ja, ich weiß, halt’s Maul“ – aber oft sollte ich es mir eigentlich selbst auf die Stirn tättowieren, weil ich schon wieder so selbstmitleidig und jammer-meckerig war und vollkommen außer Acht lasse, was ich bisher so geschafft habe.
Ich werde niemals die perfekte Psychologin für jeden sein – a) weil es Perfektion nicht gibt und b) weil Menschen eben Menschen sind und nicht jeder Topf zu jedem Deckel passt.
Ebenso wie es natürlich ist, viele Dinge ohne Beweis zu glauben, ist es auch nicht weniger natürlich, an anderen trotz der Beweise zu zweifeln.
Ich will mich weniger auf die Zahlen auf Papier konzentrieren, aber das ist schwer, wenn man ein paar gute Noten brauchen könnte. Ich würde meinen Master gerne in einer anderen Stadt machen. Dazu brauche ich gute Noten, weil das Bachelor-Master-System es halt so vorsieht, die Unis hart aussortieren und das oft nur nach Note. Danach möchte ich raus hier, so schön die Stadt und so entspannt die Uni-Atmosphäre hier ist. Ich mag Kleinstädte nicht. Ich brauche Extreme. Entweder Großstädte oder Einöde, alles dazwischen regt mich nach einer Weile auf.
Ich interessiere mich auch für viele Richtungen. Kriminologie, Medienpsychologie, die therapeutische Laufbahn, Kinder- und Jugendpsychologie und habe ständig Angst, die falsche Wahl zu treffen, wenn ich mich für einen Master oder einen bestimmten Schwerpunkt entscheide. Aber ich bin 23. Wenn ich den Master fertig mache, bin ich vielleicht 26. Die Lebenserwartung einer Frau liegt ungefähr bei 80 und wenn die da oben in naher Zukunft nicht einen dritten Weltkrieg starten oder ich morgen von einem Blumentopf erschlagen werde, habe ich genügend Zeit in jeden dieser Bereiche reinzuschnuppern und vieles umzusetzen! Vielleicht schreibe ich auch einen Bestseller und habe ausgesorgt? Oder ich finde zufällig einen anderen Beruf, der mich einfach nur glücklich macht? Ich weiß nicht, woher diese Angst kommt, dass der Lebenslauf nicht geradlinig ist und ein paar Lücken enthält. Vermutlich weil es unberechenbar und teils außerhalb der eigenen Kontrolle liegt.
Und es nervt so sehr, wenn ich gerade angst- und zweifelsfrei bin und darüber nachdenke, wie ich mich gebe und wie ich jammere und heule, wenn ich in das Loch kugele und nicht rauskomme, weil ich wie ein Käfer auf dem Rücken liege, obwohl meine Arme kräftig genug wäre, um mich hinauszuziehen.
- Deswegen halte ich das hier mal für mich fest:
Du kriegst das schon hin. Mehr machen, weniger nachdenken. Und vor allem: Hör auf, Ereignisse zu bewerten, bevor sie geschehen sind!
Selbstzweifel sind nunmal da, sie werden wiederkommen und es ist gut, auch mal inne zu halten und sich selbst zu hinterfragen. Jemand, der nie zweifelt, ist in meinen Augen sehr zweifelhalt. (Oh mann, ich werfe 1ct in die unterste Wortwitz-Schublade) Man darf es halt nicht übertreiben. Zweifeln ja, aber nicht verzweifeln.
Was macht man also, wenn man zweifelt und sich ständig hinterfragt? – Nun, wenn ihr ein Patentrezept habt, verratet es mir!
Ich mache jetzt brav die Übungen, die ich eventuell späteren Klienten aufgebe: Meine Erfolge und Errungenschaften in meinem Lieblingsnotizbuch festhalten und in schwierigen Zeiten reinschauen. Fein säuberlich als Liste, jeweils mit Grund, warum ich so stolz darauf bin. Daneben habe ich einen Hello Kitty Glitzer Sticker geklebt. Auf der anderen Seite ist ein Foto von Freunden und mir, auf denen wir alle das Gesicht verziehen wie Blobfische, vereint im Mut zur Hässlichkeit. Und auf der nächsten Seite ist eine Karte von meiner Mama, die sie mir zum Lernen für die Abiprüfungen vor fünf Jahren geschenkt hat:
„Prüfungen kann man wiederholen, Partys nicht“.
Kommt an Bord: