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Hass, Shitstorms und Kommunikation

Hass, Shitstorms und Kommunikation

Wodurch entstehen Konflikte? Hauptsächlich durch gestörte Kommunikation oder konkurrierende Bedürfnisse.

Die Diskussionskultur im Internet, auf twitter, Facebook und in den sozialen Medien, wird rauer. Trolle, Menschenhasser und verschiedene Meinungen treffen aufeinander. Gefühle, verletzter Stolz, Missverständnisse. Jemand äußert seine Sicht der Dinge und jemand anderes fühlt sich persönlich angegriffen.

Blockieren. Lästern. Follower von der Leine lassen.

Dadurch dass viele Konflikte heute öffentlich ausgetragen werden, das Internet nicht vergisst und dennoch schnelllebig ist, bleiben Äußerungen schwarz auf weiß stehen. Werden ausgespuckt, ohne zu überdenken. Gerade bei twitter, wo mit 280 Zeichen zwar mehr Platz als früher ist, doch Missverständnisse so leicht entstehen.

Gerade für Leute, die sich für Minderheiten einsetzen, die als Sprachrohr für Angehörige des LGBTQ+ Spektrums oder diskriminierten Menschengruppen dienen, bekommen es oft dicke. Feminist*innen, die sich untereinander bekriegen, wenn sich im Ton vergriffen wurde oder ein Statement diskriminierend ist.

Differenzierung?

Als Person, die weder von Diskriminierung noch von ständigen Wellen von Lästereien und Hass betroffen ist, scheint es natürlich sehr bequem, von meiner Warte aus über Kommunikation zu reden.

Ja, mein Postfach ist nicht voll von Hass und Trollen.

Dennoch fällt mir auf, dass die „Zero Tolerance Policy“ zunimmt. Dass oft nicht mehr zwischen Trollen und Diskussionsgegnern unterschieden wird. Natürlich hat jeder das Recht jeden zu blocken – dafür braucht es keine triftigen Gründe.

Aber oft geschieht Folgendes: Jeder, der ein Gegenargument bringt, der kritisch hinterfragt, wird niedergemäht.

Prominente Personen oder Personen des öffentlichen Lebens werden bei einer unglücklichen Aussage von allen Seiten mit Hass und Missgunst bombardiert. Es wird angegriffen, die verbale Knarre gezogen, bevor man nachfragt.

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass manche Personen absolut unreif und unverständnisvoll auf Kritik reagieren: „Ich kann gar nicht rassistisch sein, der Dönermann von nebenan mag mich.“ o.Ä.

Gleiches gilt für das Schnellschießen auf Überschriften oder Captions – oftmals wird im Artikel nämlich genau erklärt, was gemeint ist. Erst lesen, dann denken, dann antworten.

Es ist nicht die Verantwortung von Minderheiten und/oder Betroffenen, anderen Personen zu erklären, warum etwas rassistisch, ableistisch oder xy-feindlich ist!

Zweite Chance?

Ich verstehe, die Ungeduld, die Ermüdung, wieder und wieder ähnliche Äußerungen von priviligierten Personen zu lesen. Derselbe Mist, obwohl wir dieselben Predigten gefühlt schon 100 Mal gehalten haben.

Jedoch, würde ich mir wünschen, dass wir öfter nochmal innehalten – was will ich? Will ich, dass diese Person nachdenkt, sich weiterentwickelt? Oder will ich sie durch einen bissigen Kommentar verprellen, durch einen Block im Unklaren lassen?

Durch unsere Filterbubble, die sich jeder selbst durch Selektion und Gegenanziehung auswählt, sind wir und diese Bubble für ähnliche Themen sensibilisiert, haben sich ausführlich mit gewissen Themen beschäftigt und sich Meinungen und Argumente für gewisse Standpunkte zurechtgelegt.

Maxi und die Schokolade

In der Psychologie gibt den „Maxi und die Schokolade“ Versuch. Kinder ab ca. 4-5 Jahren können diese Aufgabe „false belief task“ lösen. Der Versuch ist banal. Anhand von Spielfiguren wird eine Szene gezeigt:

Mama und Maxi kommen vom Einkaufen zurück. Maxi sieht, wie Mama die Schokolade in die grüne Schublade packt. Dann geht er raus zum Spielen. Mama backt einen Kuchen und nimmt dazu die Schokolade. Sie packt sie aber in die blaue Schublade. Maxi kommt vom Spielen zurück – wo wird er die Schokolade suchen?

Bis zum Alter von 4-5 Jahren geht man von einer kindlichen egozentrischen Sicht aus. Es wird nicht zwischen Eigen- und Fremdwissen unterschieden. Als Beobachter*in der Szene wissen wir, dass die Schokolade nicht mehr in der grünen Schublade ist. Wir wissen also, dass Maxi ein anderes Wissen hat als wir. Diese Entwicklung nennt sich „theory of mind“.

Trotzdem scheint es mir manchmal so, dass wir im Internet oft voraussetzen, dass andere sich in gewissen Themenbereichen auch schon weitergebildet haben. Dass sie das doch getan haben „müssten“!

„Die Menschen sind nicht böse, die Menschen sind nur dumm.“ – Alligatoah (Musik ist keine Lösung)

Gewaltfreie Kommunikation

Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg ist ein spannendes, interessantes, aber auch idealistisches Buch. Es beinhaltet die Philosophie, dass es keinen Konflikt gibt, den man nicht durch aktives Zuhören und entsprechende Gesprächstechniken lösen könnte. Daran glaube ich weniger, auch wenn mir die optimistische Grundhaltung des Buches als oller Träumerin gut gefällt.

Hä? Ich kommuniziere doch gewaltfrei, du Arsch!

Ein wichtiger Punkt sind „Pseudo-Gefühle“ – Gefühle, die Vorwürfe enthalten und so das Gegenüber in eine Rechtfertigungs- bzw. Verteidigungshaltung drängen.

Rosenberg hält es für immanent wichtig, bei sich zu bleiben. Bei aktuellen Situationen. Dass man von sich spricht und nicht von anderen Situationen, Momenten.

Zu den Pseudo-Gefühlen zählen „verraten, hintergangen, überrollt, ausgeschlossen, diskriminiert“. Vor allen kann man im Deutschen sagen „Ich fühle mich…“ und doch beinhalten diese Worte die Handlung einer anderen Person. Nach Rosenberg müsste es stattdessen heißen, „Ich fühle mich traurig, wütend, einsam etc. wenn ich das Gefühl habe verraten/ausgeschlossen etc. zu werden.“

Er spricht viel davon, nachzufragen, so lange zu bohren, bis man den Kern und die Absicht der Aussage der anderen Person verstanden hat. Das ist ermüdend und bei Weitem nicht bei jedem Gespräch sinnvoll. Trolle laben sich an Aufmerksamkeit und Energie.

Es geht immer darum, ob mir die Beziehung etwas wert ist. Ich verstehe, jeden der genervt ist, der nicht ständig erklären, rechtfertigen und sich vergewissern möchte, was das gegenüber will.

Aber durch die schnelle, verurteilende Kommunikation sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Austausches, der Gewinn für alle Parteien bringt. Die Chance, sich weiterzuentwickeln, die Chance einer möglichen guten Beziehung.

Jeder hat das Recht darauf, nicht zu kommunizieren, sich seine*ihre Bubble auszusuchen.

Hass zermürbt

Ich wünsche mir, dass wir Mutuals stärken und stützen. Positiven Beispielen und Aktionen mehr Aufmerksamkeit schenken. Freundlicher, wohlwollender miteinander umgehen.

Es ist wichtig, Negatives aufzuzeigen,. Missstände anzuklagen und aufzuzeigen. Fehler und Verletzendes zu kritisieren und zu bemängeln. Aber oft wird darüber scheinbar vergessen, dass Menschen dahinter stecken. Hass zermürbt.

Und auch die Beschäftigung mit Hatern, Trollen und allem Negativen zermürbt auf Dauer. Denn es ist ein Kampf gegen Windmühlen, jedem einzelnen Wicht die Welt erklären zu wollen (das gilt vor allem für Nazis, Rechtsextremistn usw.).

Aber: Nicht hinter jeder Person steckt ein Feind, jemand der Böses will. Nicht jeder Fehltritt, jede unbedachte Äußerung ist stellvertretend für die ganze Persönlichkeit.

Und ich glaube daran, dass Veränderung bei einem selbst beginnt. Ich wünsche mir eine weltoffene, freundliche Umwelt, also bemühe ich mich ebendies zu sein. Außerdem möchte ich nicht, dass rechte Idioten andere mit ihrem Charisma einlullen und Verständnis heucheln. Ich möchte bestimmt gegen Hass und Intoleranz vorgehen. Und ich möchte anderen zeigen, dass Konflikte sich lösen und verhindern lassen, wenn wir bei unserer Kommunikation ein bisschen mehr aufpassen.

Wenn wir bei anderen Menschen jedes Wort auf die Goldwaage legen, sollten wir das mit unseren eigenen Worten vielleicht auch tun?

Fazit

Ich habe nicht das Recht und ich will auch nicht, belehrend mit dem Finger auf irgendjemanden zeigen. Dennoch würde ich mir wünschen, dass wir in unserer Kommunikation öfter innehalten, uns einen Moment Zeit nehmen. Nicht mit Messern und Mistgabeln auf jemanden losstürzen, der einen Fehler macht. Zweite Chancen geben. Uns weniger an den Fehlern und Versäumnissen anderer aufhängen und mehr auf das blicken, was sie gelernt und verbessert haben. Nicht unbedacht öffentlich Personen bloßstellen, weil sie sich kritisch äußern. Ein bisschen mehr Rücksicht aufeinander nehmen, denn es gibt genug Hass in der Welt.

Gezeichnet,

eine hoffnungslos verträumte Idealistin


Titelbild Andre Hunter // Unsplash
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4 Jahre her

Der Beitrag ist zwar schon etwas älter, aber beim Stöbern bin ich gerade drauf gekommen und, liebe Babsi, du bist nicht die einzige hoffnungsvoll, verträumte Idealistin. Wie oft ich im Internet nur den Kopf schüttel, weil irgendeine generelle Aussage wieder von irgendjemandem persönlich aufgefasst wurde. Das klassische „Aber nicht alle Männer sind so!“ zum Beispiel. Ja, das Internet kann sich manchmal intim anfühlen und manchmal hat man das Gefühl, man würde jeden super gut kennen, aber das heißt nicht, dass man nicht mit einer gewissen Distanz und Reflektion in die Diskussion gehen kann. Ich würde mir einen freundlicheren Umgang wünschen.… Read more »

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AMEN! Ich habe nichts zu ergänzen, top Beitrag, aber ich hatte nichts anderes erwartet (= Kommunikation – so ein vielschichtiges Thema und ja, der Ton wird rauer, off- und online. Missverständnisse, missverstehen wollen. Sarkasmus und Ironie nicht mehr greifen können und gerne persönlich werden oder persönlich nehmen! Es gibt Themen, so banale und es zickt sich alles von jeder Seite an. Eine andere Meinung wird klein gemacht – ich könnte zig Beispiele nennen und nochmal doppelte so viele bei Themen, bei denen es nicht um oberflächliches geht, sondern um Lebenseinstellungen und weiteres. Diskutieren muss man können, aber oft wird dann… Read more »

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5 Jahre her

Hallo Babsi,
das ist ein super Beitrag und ich kann dir nur zustimmen. Auch die Theorien und ihre Ansätze finde ich sehr spannend.
Liebe Grüße
Katja

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5 Jahre her

So ein toller Beitrag liebe Babsi, Mega spannend, wie du die verschiedenen Theorien eingebracht hast und ich könnte nicht mehr zustimmen.

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